Die Oberpfalz - historische Entwicklungslinien

Wilhelm Weidinger: Die Oberpfalz - Suche nach historischen Entwicklungslinien (aus 200 Jahre Regierung der Oberpfalz, Verlag Friedrich Pustet)

Frägt man nach der Oberpfalz, liegt zunächst der Griff zum Lexikon nahe: In Meyers „Großem Konversations-Lexikon“ von 1906 ist sie ein Regierungsbezirk des Königreichs Bayern mit einer Fläche von 9 652 qkm, 573 476 Einwohnern, 3 „unmittelbaren“ Städten (damals neben Regensburg und Amberg Neumarkt, statt Weiden) und 19 Bezirksämtern. Heute ist sie ein Regierungsbezirk und ein Bezirk im Freistaat Bayern mit 9691 km2, 1083780 Einwohnern, 3 kreisfreien Städten und 7 Landkreisen. Die Einwohnerzahl hat sich in rund 100 Jahren fast verdoppelt, die Zahl der Verwaltungseinheiten gut halbiert. Aus der Statistik ließen sich noch viele Erkenntnisse erschließen, zum Kern käme man damit aber nicht.

Der nächste Schritt führt zur Etymologie: Warum heißt die Oberpfalz Oberpfalz? Im Wort Pfalz „steckt“ der Palatin im alten Rom, der Hügel mit den kaiserlichen Palästen. Aus dem lateinischen palatium, dem Palast, wurde Pfalz als Königs- oder Herzogssitz im Mittelalter. Von den königlichen Pfalzen aus wahrten die Pfalzgrafen die königlichen Interessen in ihrem Gau. Nur den Pfalzgrafen bei Rhein gelang es aber, dieses Amt mit einem selbständigen Territorium zu verbinden, eben der Pfalz mit der Hauptstadt Heidelberg (116 m über NN). Der vergleichsweise höher gelegene Teil des alten Nordgaus (mindestens 330 m), der mit dem Hausvertrag von Pavia 1329 den Pfälzer Wittelsbachern zugewiesen worden war, erhielt vom 15. Jahrhundert an den Namen Obere Pfalz und dann Oberpfalz.

Diese Herleitung des Namens führt schon in die ganz besondere Geschichte der Oberpfalz innerhalb Bayerns und auch Altbayerns ein und damit zu der Frage: Was macht die Oberpfalz aus, was zeichnet sie aus? Oder moderner: Was sind ihre Alleinstellungsmerkmale? Es lohnt den Versuch, aus den natürlichen Gegebenheiten und der Geschichte Entwicklungslinien aufzuzeigen, die heute noch das Bewusstsein in der Oberpfalz prägen oder die es wert wären, wieder stärker in das kulturelle Gedächtnis der Oberpfälzer aufgenommen zu werden. Vor allem das Geschichtsbewusstsein begründet die Identität einer Region, die hier nicht im Sinne des Bayerischen Landesplanungsgesetzes, sondern als ein durch eigenständige Kultur und Geschichte geprägter Raum verstanden werden soll.1

Die Oberpfalz ist — um gleich mit einem Alleinstellungsmerkmal zu beginnen — die geologisch vielfältigste und interessanteste Region Bayerns; nicht umsonst wurde im Landkreis Neustadt a. d. Waldnaab die Kontinental Tiefenbohrung auf fast 11 km „heruntergebracht“. Stark vereinfacht ist die Oberpfalz geologisch dreigeteilt: Im Norden und Osten das Alte Gebirge aus Granit und Gneis, 350 Millionen Jahre und älter, im Westen der Jura des Malm, rd. 200 Millionen Jahre alt, und in der Mitte die Vielfalt des „Bruchschollenlandes“. Im feuchtwarmen Klima der Kreidezeit wurden dort – sozusagen am Oberpfälzer Rio Negro - vor rund 100 Mio. Jahren eisenhaltige Erze eingeschwemmt und Kohlenflöze gebildet.2 Vor allem dieser Zeit verdankt die Oberpfalz ihre reichen Bodenschätze, deren Gewinnung, Verhüttung und Verarbeitung ihre reichen Zeiten als Montanregion begründeten. Als diese goldene oder besser eiserne Zeit des „Ruhrgebiets des Mittelalters“ zu Ende ging, war die Oberpfalz im Wesentlichen auf die Landwirtschaft zurückgeworfen. Das Klima war rauh und von den fetten alluvialen Böden hatte die Oberpfalz in ihrem damaligen Zuschnitt noch viel weniger abbekommen als die heutige. Die arme Zeit begann, die letztlich erst in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts überwunden werden konnte. Heute tragen weder die Erschließung der Bodenschätze noch die Landwirtschaft wesentlich zur Wertschöpfung bei, zusammen sind es unter 2%.3 Es kommt für die Zukunft der Oberpfalz kaum mehr auf die Bodenschätze oder auf den Boden an. Auch haben sich zwei wesentliche Determinanten zum Guten gewendet: Der Eiserne Vorhang ist gefallen, die Oberpfalz hegt also - nicht nur geographisch — in der Mitte Europas und sie ist im europäischen Verkehrswegenetz hervorragend positioniert. Es kommt also auf die Oberpfälzer selber an.

In einem Festvortrag zum 125jährigen Bestehen des Regierungsbezirks Oberpfalz im Januar 1963 hat Karl Bosl ausgeführt: „Seit 1803 hat sich fast ein Dornröschenschlaf über dieses stille, schwermütigtraurige Land an der Grenze gebreitet. Einst weltmännisch, weltoffen und bewegt, besonders unter den Landesherren am Rhein, ist es heute eines der konservativsten aber auch unterstützungswürdigsten Gebiete Deutschlands“.4 Ob dieser Satz eines bekennenden Oberpfälzers auch heute noch gilt — auch das soll Gegenstand dieses Beitrags sein.

Wenn hier versucht wird, aus naturräumlichen Grundlagen und historischen Vorgaben Entwicklungslinien für die Oberpfalz aufzufinden und zu verfolgen, verbietet sich ein Streben nach Vollständigkeit von selbst; viele Fäden können nicht aufgenommen, viele nicht mit der notwendigen Akribie verfolgt werden. Für sein recht subjektives Herangehen bittet der Verfasser um Nachsicht.